Region Castagniccia – Im Reich der Kastanienbäume & Banditen

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Castagniccia im Herbst

„Die Freiheit tut noch mehr Wunder
als der heilige Antonius von Padua.“

Pascal Paoli, korsischer Revolutionär und Widerstandskämpfer (1725 – 1807)

Ein ungezähmter Dschungel aus Kastanienbäumen in einer sanften Hügellandschaft, urige kleine Bergdörfer, frei laufende Schweine und Kühe und ein Netz aus engen Landstraßen – das ist die Castagniccia. So wird das ursprüngliche Gebiet in der nördlichen Ebene zwischen der Schlucht des Golo und dem Fluss Tavignano nach seiner reichhaltigsten Vegetation genannt: „Kastanienhain„.

Die Castagniccia war einst die „Kornkammer“ der Insel. Die kleinen Stechigel waren das Hauptnahrungsmittel der Korsen. So wurde die Kastanie auch „Brotbaum“ genannt. 1584 befahlen die zu dieser Zeit herrschenden Genuesen den ansässigen Bauern die Anpflanzung von Kastanien, Maulbeerbäumen, Rebstöcken oder Olivenbäumen. Ende des 18. Jhd. waren 70% der Castagniccia mit Kastanienbäumen bestückt und auch heute noch ist sie die wichtigste Region der Insel für die Produktion von Kastanienmehl zur Weiterverarbeitung von z.B. gâteau de chataîgne, Polenta und natürlich dem korsischen Kastanienbier Pietra. In die unzähligen ursprünglichen Bergdörfchen der Castagniccia verirren sich bis heute nur wenige Touristen, weshalb die Einheimischen Reisende mit dem Verkauf von lokalen kulinarischen Spezialitäten locken.

Doch die Gegend hat in der Tat einiges zu bieten: Ein Wanderwegnetz durchzieht die schöne Landschaft und die Natur wird größtenteils zum Parc Naturel de la Corse gezählt. Und nicht nur im Sommer sind es hier ein paar Grad kälter und somit angenehmer als an der Küste, auch der Herbst hat so seine Reize, mit den rot-orange gefärbten Blättern der Kastanienhaine. Zu dieser Zeit findet auch die Kastanienernte statt und so kann man hautnah erfahren, welche körperliche Arbeit die Kastanienernte mit sich bringt und warum der Preis von ca. 10 €/kg Mehl gerechtfertigt ist.

Castaginiccia - Kastanienhaine überall

Hier, in der Castagniccia, wird korsischer Alltag sichtbar und korsische Geschichte spürbar: Das Kernland des Schiefergebietes gehört zum Teil der Insel, den der tektonische Grabenbruch vom Granitgebirge des Westens trennt: Das Gebiet „diesseits der Berge“. Die Castagniccia ist mit fruchtbaren Böden und klimatisch günstigen Verhältnisse gesegnet. Hier gab und gibt es kaum Hirten sondern intensive Landwirtschaft betreibende Bauern. In der Vergangenheit sprach man vom gebildeten Bauernadel.

Die Vielzahl der Dörfer in der Castagniccia deutet ebenfalls auf den einmal vorhandenen Wohlstand hin, im 19. Jhd. war hier die höchste Bevölkerungsdichte der Insel. Zudem war sie Sitz der korsischen Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jhd. Viele Klöster wurden als Versammlungsort der Freiheitskämpfer genutzt und somit entstand das Zentrum des Widerstandes. Heute sind die meisten Klöster Ruinen und die Kirchen bedürfen ebenfalls einer Restauration. Einige sind Besuchern zugänglich, andere wiederum nur zu bestimmten Anlässen offen.

In den 1930er Jahren geschah auf Grund der Abgeschiedenheit eine große Landflucht der Bevölkerung. Auch heute noch wirken die meisten Dörfchen im Winter wie ausgestorben, die wenigen Einwohner werden mit rollenden Kaufläden versorgt. Der Teil der Castagniccia namens Casinca ist davon weniger betroffen, denn seine Nähe zu Bastia und der Ostküste bescheren der Region doch einige Touristen (und Einwohner) mehr.

Ausflugsmöglichkeiten in der Castagniccia

Für einen Ausflug in die Castagniccia sollte mindestens ein ganzer Tag eingeplant werden, denn hier liegen die kurvigsten Straßen der Insel. Hier muss man nicht nur wegen des empfindlichen Magens langsam fahren, sondern auch wegen der vielen Kühe und Schweine, die gerne einmal die Straße queren. Entlang der Panorama-Straße D71 gibt es die sogenannten Gîtes ruraux, in denen es sich einfach aber dennoch gemütlich und ur-korsisch übernachten lässt.

Eine Rundtour zwischen Vescovato und Cervione ausgehend von der Ostküste ist durchaus ein gelungener Tagesausflug, um den Norden und das typisch-ursprüngliche Korsika kennenzulernen.

Von Ponte Lecchia aus kommend folgt man der D71 und gelangt nach unzähligen Kurven in das nette Dörfchen Morosaglia. Hier wurde der einstige Freiheitskämpfer Pascale Paoli geboren. Sein Geburtshaus wurde zum Museum erklärt und beheimatet heute eine erstaunliche Sammlung seines Lebens und Wirkens. Er gilt immer noch als wichtigster Mann Korsikas, denn er hat es einmalig in der Geschichte Korsikas geschafft, die Insel zwischen 1755 und 1769 unabhängig zu regieren und die erste demokratische Verfassung der Welt auf der Insel auszurufen.

Morosaglia - Geburtsort Pascale Paolis

Durch weitere kleine Ortschaften gelangt man zum Col de Prato (985 m), von wo aus die Wanderung zum höchsten Berg der Castagniccia, dem Monte San Petrone (1767 m) begonnen werden kann. Der Blick vom Gipfel offenbart eine wunderschöne Aussicht über die ganze Region der Castagniccia, das Cap Corse und die höchsten Berge der Insel. Ende Juli/Anfang August findet auf dem Pass ein großer Markt mit leckeren, einheimischen Produkten statt.

Folgt man weiter der Straße, gelangt man nach Campodonico (D246 – kleine, steile Straße rechts hinauf). Vom Dorfplatz am Ende der Straße führt ebenfalls ein wunderschöner, einsamer Wanderweg hinauf zum Monte San Petrone. Hier sind jedoch 200 Hm mehr zu bewältigen als von der Variante vom Col de Prato – allerdings ist dieser Wanderweg einzigartig in seiner Vielfalt und Schönheit und zudem ist er sehr wenig begangen.

Bleibt man weiter auf der D71, erreicht man den Weiler Campana. Azweigend auf die D515 gelangt man durch den Weiler Croce nach La Porta, einem der schönsten und auch grössten Dörfer der Castagniccia. Die elegante Kirche St-Jean Baptiste aus der Barockzeit (errichtet 1648 – 1680) schmückt den Marktplatz. Links davon ragt ein Glockenturm, der 1720 erbaut wurde, in den Himmel.

Die Casinca ist die Verlängerung der Castagniccia im Nordosten und eine wunderschöne Gartenlandschaft mit sonnenverwöhnten Terrassen voller Reben, Olivenhainen und Kastanienbäume. Hauptort der Casinca ist Vescovato.

Vescovato, ein malerisches Dorf (2400 EW), ist ein Ort mit viel korsischem Charakter. Bevor Bastia Bischofsitz wurde, war dieser von 1269 bis 1570 hier. Auch die Barockkirche San Martino stammt aus dieser Zeit.

Das Kloster von Orezza, Couvent d’Orezza, befindet sich kurz vor dem Ort Piedicroce auf der linken Seite. Auch hierbei handelt es sich um ein ehemaliges Franziskanerkloster und war ein wichtiges Zentrum des Freiheitskampfes gegen die Genuesen, wo bedeutende Entscheidungen getroffen wurden. (Unter anderem wurde hier die korsische Verfassung 1751 verabschiedet.)

Das Kloster umfasst auch für die bekannteste Heilquelle Korsikas. Seit 1856 ist das sprudelnde Nass als Heilwasser zugelassen und schon die Römer wussten das eisen- und kohlensäurehaltige Wasser zu schätzen. Das Orezza-Wasser wird auch als Mittel gegen Anämie, Nervenkrankheiten Leber- und Gallenleiden eingesetzt. Außerhalb der Saison werden Führungen angeboten und ein Film gibt Einblick in den Bearbeitungsprozess. Auch bei geschlossenen Toren kann in einem Brunnen das Heilwasser abgefüllt werden.

Piedicroce selber liegt mitten im Herzen der Castagniccia. Auf dem schönen Platz vor der Barockkirche Saint-Pierre und Saint-Paul treffen sich am Abend die Boule Spieler auf ein kleines Turnier.

Vor dem Dorf Valle-d’Alesani zweigt entlang der D217 eine Straße ab. Man gelangt zum ehemaligen Franziskanerkloster, wo der einzige König Korsikas Theodor von Neuhoff ernannt wurde und im Jahre 1736 acht Monate von Cervione aus die Insel regierte.

Cervione (326 m ü.M) liegt an einem Hang an der Ostküste Korsikas. Das kleine Örtchen mit 1000 Einwohnern verfügt über eine gute Infrastruktur – ein Hotel, mehrere Bars und zwei Restaurants warten hier auf Gäste. Hinter der Kirche befindet sich ein Heimatmuseum, welches einen interessanten Einblick in den korsischen Alltag der jüngeren Neuzeit gibt.

Von Castellare di Casinca hat man einen schönen Blick auf’s Meer und auf die anderen Dörfer, die auf den Kämmen reiten – und dann gelangt man wieder auf die Ostküste und kann den Tag am Plage de Moriani bei einem kühlen Kastanienbier Pietra ausklingen lassen…

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